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Gabriel Shipton setzt sich für die Rechte von Julian Assange ein, sieht große Gefahren für die Redefreiheit und ist der Überzeugung, dass an seinem Bruder ein Exempel statuiert wird. Dieses Interview erschien in der dritten Ausgabe vom EINUNDZWANZIG-Magazin und wurde auf Grund einer Anhörung am 20. und 21. Februar am obersten Gerichtshof von UK, in englischer Sprache vorveröffentlicht.
INTERVIEW: NetDiver ILLUSTRATION: mx12ART PHOTOS: Niels Ladefoged
Guten Tag Herr Shipton und besten Dank für dieses Treffen. Als ich mich für dieses Gespräch vorbereitete, bat mich unser gemeinsamer Kontakt auf den Messenger Signal zu wechseln. Ist das Ihr Wahl-Messenger um private Gespräche zu führen? Ja, ich nutze Signal nun bereits seit Jahren. Es ist nicht perfekt, aber es ist gut genug für gewisse Kommunikation. Ich bin mir jedoch bewusst, dass nichts auf meinen mobilen Geräten sicher ist.
Würden Sie die Aussage von Edward Snowden bestätigen, dass Signal der sicherste Messenger ist, um seine Privatsphäre zu wahren? Wie ich bereits sagte, es ist nicht perfekt. Man braucht eine Telefonnummer, was nicht für alle funktioniert. Aber es ist noch immer besser als andere Apps, welche kommerziellen Zwecken dienen.
Wird das auch so bleiben, nachdem Europa nun die flächendeckende Chat-Kontrolle verordnete oder sind künftig p2p-Tools wie «SimpleX» oder «Keet» besser geeignet, um seine Privatsphäre zu schützen? Ja, sicher werden Tools wie Keet sich mit der Zeit verbreiten, insbesondere wegen des Peer-to-peer-Aspekts. Ich kenne die europäischen Gesetze nicht, aber wir sollten nicht aufhören, für unser Recht auf Privatsphäre und kryptografisch verschlüsselte Kommunikation einzustehen. Ich denke, das Verständnis dafür wächst und die Argumente jener, welche uns diese Rechte nehmen wollen, sind nicht mehr stichhaltig. Inzwischen wird den Leuten bewusst, dass es ihnen nur noch darum geht, uns zu überwachen. Die Bewegungen, solche Überwachungstendenzen abzuwehren wachsen, weil den Leuten inzwischen klar wird, welche Konsequenzen flächendeckende Überwachung haben wird.
Wer nichts zu verbergen hat, braucht keinen Privatsphärenschutz. Weshalb ist diese Haltung aus Ihrer Sicht nicht zuletzt gesellschaftlich verhängnisvoll? Das ist schlichtweg Unsinn.
Das ist ungefähr wie «wir brauchen keine Redefreiheit, weil ich nichts Wichtiges zu sagen habe».
Ich höre dieses Argument zwar auch immer wieder, aber nur von Leuten, welche nicht verstehen, dass Privatsphäre ein Recht ist.
Können wir unsere Privatsphäre überhaupt noch schützen und wie oder ist diese Schlacht bereits geschlagen? Welche Tools würden Sie nutzen, um sich von einem allumfassenden Überwachungsstaat zu schützen? Es gibt viele Hilfsmittel, mit welchen man seine Online-Präsenz verstecken kann. Viele sind halt nicht leicht zu bedienen. PGP (Pretty Good Privacy) ist noch immer ein gutes Tool, alt aber noch immer nützlich. Aber wenn du wirklich gute Privatsphäre willst, musst du technisch versiert sein. Wenn du anonym bleiben willst, kannst du auch Synonyme verwenden, unterschiedliche Identitäten, beispielsweise eine geschäftliche und eine private Identität.
Aber um seine Privatsphäre wirklich zu schützen, kannst du heute eigentlich nur noch in den Wald gehen und deine digitalen Geräte zu Hause lassen, denn in den Städten werden inzwischen verbreitet Kameras mit Gesichtserkennung installiert.
Aber letztlich führt auch kein Weg daran vorbei, dass sich jeder selbst für seine Privatsphäre einsetzt, sich gegen Überwachung wehrt und sich beispielsweise auch im politischen Prozess engagiert.
Ist George Orwells 1984 Roman oder bereits Realität? Nun, einige Aspekte davon sind heute nicht mehr zu übersehen. Zensur und eine Art «Erinnerungsspeicher» werden vermehrt ausgeführt. Wer die Vergangenheit, die Geschichtsbücher manipuliert, kontrolliet die Gegenwart und wer die Gegenwart kontrolliert, beherrscht die Zukunft. Das wird vermehrt zur Realität. Insbesondere digital gespeicherte Geschichte kann und wird heute schon auf Knopfdruck verändert, umgeschrieben. In Sowjetzeiten mussten sie noch Seiten aus Geschichtsbüchern entfernen, heute braucht es dazu nur noch die Löschtaste.
Julian sagte bereits, dass Bitcoin die Fähigkeit hat, dieses Diktum zu brechen. Bitcoins «distributet ledger» ist unveränderbar, weil es dezentralisiert ist. Dies verschafft uns die Möglichkeit, unsere Vergangenheit zurückzuholen, weil sie durch einen Eintrag in die Timechain unveränderbar wird. Leute nutzen Bitcoin inzwischen auch dazu, um Informationen für immer zu speichern und diese Information wird auf Tausende von Nodes verteilt. Wir befinden uns zwar auf dem Pfad zu allmächtigen Überwachungsstaaten, aber es gibt noch immer Möglichkeiten und Technologien, sich dagegen zu wehren.
Es gibt beispielsweise ein interessantes Projekt, welches unter projectspartacus.org zu finden ist. Dabei handelt es sich um ein Community-Projekt, bei welchem Wikileaks-Artikel in die Bitcoin-Blockchain geschrieben werden, so dass diese dort für immer und unveränderbar abgespeichert werden. Kleine Projekte wie diese können dabei helfen, den orwellschen Alptraum zu verhindern.
In der #FreeAssange-Anzeige im Magazin zitieren wir Snowden mit folgendem Satz: «Wenn das Aufdecken von Verbrechen wie ein Verbrechen behandelt wird, werden wir von Verbrechern regiert». Werden wir von Verbrechern regiert und wollen es nicht wahrhaben? Da sind unbestritten kriminelle Elemente zu erkennen. Ich glaube es gibt immer mehr Menschen, die sich dessen bewusst werden. Viele dieser Leute, welche Einfluss auf Regierungen haben oder mit diesen zusammenarbeiten, wurden nicht vom Volk gewählt und sitzen deshalb fest im Sessel. Mit diesen Ämtern und Mandaten üben sie einen permanenten Einfluss auf Nationalstaaten rund um den Globus aus. Diese Leute operieren im Dunkeln, hinter geschlossenen Türen. Ich denke schon, dass da viel kriminelle Konspiration vorhanden ist.
Julian deckte diese 2005 auf. Diese Konspirationen von Agenten-Eliten, Medienkonzernen und Regierungen, welche zusammenarbeiten, um sich selbst zu belohnen, anstelle unsere Rechte zu vertreten und zu stärken. Deshalb wurde WikiLeaks geschaffen, um solche Komplotte aufzudecken. Julian wusste, dass diese Machenschaften nur im Geheimen gemacht werden können. Sie müssen ihre kriminellen Geschäfte vor uns verstecken, denn sie wissen, wenn wir alle davon erfahren, macht uns das wütend und wir würden uns dagegen wehren. Mit WikiLeaks schuf Julian eine Leaking-Anlaufstelle, um damit Journalisten zu schützen, welche solche Machenschaften ans Licht bringen wollen, um damit die Kosten für solche geheimen Absprachen zu erhöhen und sie ineffizient zu machen. Und genau, weil er mit WikiLeaks den Aufwand für solche Geschäfte erhöhte, ist Julian heute in einem Hochsicherheitsgefängnis weggesperrt. Weil er einen Weg fand, solche Machenschaften an die Öffentlichkeit zu bringen.
Heute sehen wir, dass Legacymedien ihre Glaubwürdigkeit verloren haben. Sie haben heute das tiefste Vertrauenslevel, seit es Mainstreammedien gibt. Der Grund dafür ist, dass Julian uns dieses kriminelle Netzwerk ins Bewusstsein rief.
Spätestens seitdem Ihr Bruder von amerikanischen Geheimdiensten verfolgt wird, müssen Sie und Ihre Familie sich doch bestimmt dauerüberwacht fühlen, wie gehen Sie damit um, wenn Sie nicht verrückt oder krank werden wollen? In erster Linie einmal, indem wir es ignorieren. Wir wissen, es findet statt. Aber es ist halt wie es ist. Dennoch lassen wir uns nicht davon abhalten, dass zu tun, was wir tun.
Als mir letztes Jahr bewusst wurde, dass Sie alle beim PlanB-Forum in Lugano auftreten werden, um sich für die Anliegen von Julian Assange einzusetzen, war ich sehr beeindruckt. Nun treffen wir uns während der zweiten Durchführung zu diesem Gespräch. Täuscht mich der Eindruck oder trauen sich nur wenige Veranstalter an dieses Thema heran? Es nimmt zu. Immer, wenn wir bei solchen Events sind, werden wir von anderen Bitcoin-Veranstaltern angesprochen, ob wir etwas mit ihnen machen wollen. Die Anzahl von Inhalten über Julian beeindruckt mich immer wieder. Hier haben wir beispielsweise Kunstobjekte mit Snowden und Julian, viele gute Gespräche. Es gibt viele unterschiedliche Wege, um mit den Menschen in Kontakt zu treten.
Unsere Auftritte an solchen Konferenzen nützen auch den Veranstaltern, weil wir Besucher bringen. Manchmal denken wir uns, die Unterstützung von Julian ist wie eine Art Test, wo du herausfindest, ob jemand echt ist oder nicht. Wer Julian unterstützt, unterstützt und fordert seine Freilassung.
Aus den klassischen Medien ist, zumindest im deutschsprachigen Raum, kaum mehr etwas über den Fall Assange zu erfahren. Gefühlt wird das Thema totgeschwiegen. Wie kann es sein, dass Verstösse gegen grundlegende Menschenrechte und verfassungsmässige Grundrechte gerade in Demokratien international politisch und medial ausgeblendet und ignoriert werden? Lange Zeit unterstützten die Medien Julians Auslieferung, sie waren willige Unterstützer dabei, Lügen über Julian zu verbreiten, ihn zu dämonisieren, seinen Charakter zu diskreditieren, was ihn in diese Situation brachte, in welcher er heute ist. Also ist es heute wohl besser für sie gar nichts zu bringen.
Sie waren über viele Jahre, über zehn Jahre lang, direkt daran beteiligt, seine Auslieferung zu fordern.
Ich denke es braucht viel Überwindung für solche Medienkonzerne, um zu realisieren, was sie damit getan haben, schadete Julian. Sie verloren damit aber auch ihre Macht über die Gesellschaft. Inzwischen sehen wir ein klein wenig mehr Berichte über Julian, manche Medien beginnen den Fall ein wenig zu untersuchen. Aber Julian wäre nicht da wo er heute noch ist, wenn sie sich viel mehr für ihn einsetzen und diese Art von Arbeit machen würden. Wir sehen etwas mehr, aber es ist sehr zurückhaltend.
«Freedom of speech» wird in Amerika durch den ersten Zusatzartikel der US-Verfassung garantiert. Julian sitzt nun seit 13 Jahren in Untersuchungshaft und soll an Amerika ausgeliefert werden, weil er ein Video veröffentlichte, welches zeigt, wie amerikanische Soldaten sich wissentlich über Menschenrechte hinwegsetzten, indem sie aus einem Helikopter bewusst auf afghanische Zivilisten, Schulkinder und einen Vater schossen, der sich schützend über sein Kind warf. Welches Verbrechen wirft man ihrem Bruder vor? Die Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit über Kriegsverbrechen und Korruption. Informationen an die Öffentlichkeit zu bringen, was Regierungen hinter dem Rücken ihrer Bevölkerungen so treiben. Sein Verbrechen war es, solche Machenschaften aufzudecken.
Die Entscheidung, diesen belastenden Film auf WikiLeaks zu veröffentlichen, veränderte nicht nur das Leben von Julian Assange grundlegend, sondern auch jenes seiner gesamten Familie. Dies ist unter anderem Inhalt des Filmes «ITHAKA», in welchem dem Publikum die menschlichen Aspekte innerhalb der Familie nähergebracht werden. Wird Julian bewusst entmenschlicht? Ja, absolut. Das, was mit Julian passiert ist, wäre nicht möglich gewesen, ohne ihn vorher systematisch zu entmenschlichen. Eine der eindrücklichsten Beispiele dafür ist, wie der «Guardian» am Plan beteiligt war, um Julian aus der ecuadorianischen Botschaft heraus zu bekommen. Es wurden viele Gerüchte über Julian verbreitet, wie er beispielsweise seine Katze in der Botschaft hungern lassen oder Fäkalien an die Botschaftswände schmieren und die Toilette nicht reinigen würde. All diese Geschichten wurden geschrieben, um Julian unmenschlich erscheinen zu lassen. Dies diente dazu, die Meinung der Leser über Julian negativ zu beeinflussen, um ihn aus der Botschaft hinaus zu kriegen. Es gibt viele solcher Beispiele, welche zeigen, wie eng Medien mit den Behörden zusammenarbeiteten, um Julians Auslieferung zu erreichen. Ihnen waren alle Mittel recht, egal ob legal oder illegal.
Herr Assange sitzt nun seit 2019 im Belmarsh-Gefängnis in Isolation und muss täglich mit seiner Auslieferung an die USA rechnen. Was ist schrecklicher, der Gedanke an Assanges Auslieferung und die Aussicht auf 175 Jahre Haft oder jener, dass Ihr Bruder an den unmenschlichen Haftbedingungen in England zerbricht? Nun, in UK spürt er eine starke Unterstützung. Er bekommt Familienbesuche und kann telefonieren, hat also noch einen Draht nach draussen. Das lässt ihn weiterhin dranbleiben. Sollte er ausgeliefert werden, würde ihm auch das noch genommen. Das wäre die Realität, sie würden ihm den Kontakt zur Aussenwelt komplett abschneiden. Wir würden nichts mehr darüber erfahren, was sie mit ihm machen. Leute aus dem amerikanischen Establishment forderten seine Hinrichtung. Er wäre nicht sicher.
Wie ist der aktuelle Stand der Dinge? Wie sieht sein Alltag in diesem Hochsicherheitsgefängnis, zusammen mit verurteilten Mördern aus und wie steht es um seine Gesundheit? Seine Gesundheit wird stetig schlechter. Wie man sich vorstellen kann, ist das Gefängnis, in welchem er eingesperrt ist, für niemanden eine gute Umgebung. Er ist extrem isoliert, hält sich die grösste Zeit in seiner kleinen Zelle auf. Aber diese wenigen Kontakte zu seiner Familie sind äusserst wichtig für ihn. Würde man ihm das auch noch nehmen, würde ich mir richtig Sorgen um ihn machen.
Sie betonten wiederholt, dass es Assange nach vier Jahren Einzelhaft inzwischen schlechter gehen würde, als während der sieben Jahre in der ecuadorianischen Botschaft, wo er dauerüberwacht wurde. Ja, er ist seit der Zeit in einem stetig schlechteren Zustand. Zu Anfang, als er ins Gefängnis kam, traf er auf richtig schlechte Konditionen. Viel schlechter als heute. Er war 24 Stunden in Einzelhaft. Das hatte einen starken Einfluss auf seine Gesundheit. Sie behaupteten, sie würden ihn mit dieser Massnahme vor sich selbst schützen, um ihn von Selbstmord abzuhalten. Sie haben ihm all seine Kleider genommen. Es war schrecklich. Das war 2019. Seit damals haben sich seine Konditionen etwas verbessert. Dies war nur möglich, weil sich andere Gefangene in diesem Gefängnis für ihn einsetzten. Sie haben gesehen, wie man ihn behandelte und haben sich bei der Regierung für ihn eingesetzt, um ihn aus diesen Verhältnissen heraus zu bekommen.
Es waren nicht die Anwälte, Richter oder Politiker, die dafür sorgten, es waren die Gefangenen. Das ist ein Beispiel, welches zeigt, dass sich Dinge in Bezug auf Julian langsam ändern. Es kommt nicht von oben, es wächst von unten.
Der Druck erhöht sich von Seiten einfacher Leute, welche vermehrt begreifen, was man Julian antut. Sie setzen sich für seine Freilassung ein.
Verstösst England mit diesen Haftbedingungen gegen bestehende Menschenrechte? Ja, bestimmt tun sie das. Die UN hat festgestellt, dass man ihn psychisch foltert. Bereits 2016 hat eine Arbeitsgruppe der UN verlauten lassen, dass Julian willkürlich festgenommen worden sei. 2018 haben sie sich darüber beschwert, dass UK all diese Reports ignorierte. UN hat mehrfach betont, dass Julians Menschenrechte missachtet würden.
Julian Assange deckte auf Wikileaks ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf und man behandelt ihn dafür wie einen Schwerverbrecher, ist das vielleicht auch eine Botschaft an andere Journalisten, es Assange gefälligst nicht gleich zu tun? Will man an ihm ein Exempel statuieren? Exakt, das ist es, ja. Er ist ein Exempel nicht nur für Journalisten, sondern für alle, welche kryptografische Hilfsmittel im Internet nutzen wollen, um Korruption und Machtmissbrauch zu veröffentlichen. Die Botschaft ist, wenn du das machst, hast du keinerlei Rechte mehr. Wir können dir jegliche Menschenrechte entziehen. Wenn du denkst, du würdest welche haben, wir können sie dir einfach rauben. Diese Botschaft ist an alle gerichtet. Julian ist weltweit bekannt und hat eine grosse Ausstrahlungskraft. Die Botschaft ist also, wenn sie dies bei ihm machen können, können sie’s mit jedem. Julian wird inzwischen überall auf der Welt unterstützt, speziell in lateinamerikanischen Staaten aber es ändert nichts an ihrem Willen, an Julian ein Exempel zu statuieren.
Es ist also eine absolut deutliche Botschaft an alle, es Julian nicht gleich zu tun.
Gemäss meinen Recherchen ist Herr Assange australischer Bürger, wie kann er also gegen amerikanisches Recht verstossen, wenn er derartige Kriegsverbrechen aufdeckt? Amerikas Rechte sind exterritorial, sie setzen es also global durch. Amerika demonstriert wir erreichen jeden und überall. Das gefährliche und besorgniserregende daran ist, dass andere Regierungen und Staaten dies sehen und feststellen, dass sie dasselbe tun können. Was die Amerikaner machen, steht uns auch zu. Es gab schon Situationen, wo andere autokratische Regime exterritorial gekidnappt haben. Das Beispiel Jamal Khashoggi, (ehem. saudischer Journalist) und Dissidenten, war besonders irritierend. Er wurde 2018 in der saudi-arabischen Botschaft in Istanbul ermordet. Was Julian passiert ist, gibt diesen Regimen Schutz und die Legimitation, dasselbe zu tun.
Ist die Redefreiheit und das Recht auf freie Meinungsäusserung in demokratischen Ländern in Gefahr und was deutet darauf hin? Ja, sicher. Das aktuellste Beispiel waren die «Twitter-Files», welche Elon Musk veröffentlichte, als er den Dienst übernahm. Interne Dokumente, welche aufzeigten, dass Twitter mit Regierungsorganisationen korrespondierte, um einzelne Personen anzugreifen, um diese aus der Plattform auszuschliessen, sie zu zensieren, auf Geheiss der amerikanischen Regierung und dessen Organisationen. Besorgniserregend dabei ist, dass sie dazu AI verwenden, um Online-Unterhaltungen anzupeilen, um effizienter zu agieren und Zensur und Kontrolle auszuüben. Das ist was wir aus den Files erfahren haben, ich denke da ist bestimmt noch viel mehr, was wir nicht wissen und diese Enthüllungen streifen gerade mal die Oberfläche, aber man sieht anhand dieser Konversationen in den Twitter-Files, wenn sie es dafür tun, tun sie’s bestimmt auch für andere Dinge, was sie aber nicht veröffentlichen, weil es so bequem für sie ist, sehr einfach. Sie kontaktieren diese Handvoll Unternehmen, welche die weltweite Kommunikation kontrollieren. Diese Unternehmen handeln auf Ersuchen der Regierungen, um Individuen zu zensieren. Ich finde das ist unglaublich beängstigend, aber wir sind uns dessen nun bewusst und es liegt an uns, uns dagegen zu wehren, indem wir beispielsweise Tools wie Signal zwecks Kommunikation nutzen und uns dieser umfassenden Überwachung bewusst sind.
Hat Amerika die Macht, Bürger sämtlicher Länder auf diesem Planeten ausliefern zu lassen, selbst aus einem neutralen Land wie der Schweiz? Ja, sicher. Die haben es auch in der Schweiz schon getan. Vor einigen Jahren wurden russische Bürger aus der Schweiz ausgeliefert. Auf dem Papier mag die Schweiz zwar noch neutral sein, aber das ist sie nicht mehr. Sie ist sehr eng mit dem amerikansichen Banksystem (SWIFT) verbunden. Amerika hat also einen starken Einfluss auf die Schweizer Ökonomie, welchen es auch nutzt, wenn die Notwendigkeit besteht. Du bist also in keinem Land sicher vor amerikanischer Einflussnahme.
Hier in der Schweiz gilt das Recht «im Zweifel für den Angeklagten», sollte ihrem Bruder nicht wenigstens in einem Land der Prozess gemacht werden, wo Richter weder europäischem noch amerikanischem Recht unterstehen und potenziell unvoreingenommen sind? Ist diese Vorstellung naiv und wäre so etwas überhaupt denkbar gewesen? Was mit Julians Auslieferung geschieht, ist eine andere Form von Enthüllung. Es zeigt die Korruption innerhalb der Jurisdiktionen, der Richter und Juristen. Die Korruption innerhalb der britischen Regierung in Bezug auf die Auslieferung von Julian aus Schweden. Die Art und Weise, wie sie dabei vorgegangen sind. Julians Fall ist eine weitere Form von Enthüllung. Er zeigt deutlich auf, wie die Machthaber handeln, das System nutzen um Leute auszuliefern, die sie nicht mögen, weil sie ihnen unangenehm sind und ihnen Schwierigkeiten bereiten.
Was mit Julian geschehen könnte, ist, dass er möglicherweise vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einen Prozess bekommt.
Es besteht also noch immer die Chance, dass diese Richter beweisen, dass sie unparteiisch sind und für die europäischen Prinzipien für Menschenrechte einstehen wollen.
Prinzipien, welche nach den beiden grossen Kriegen entstanden. Speziell nach dem zweiten Weltkrieg, als 1948 ein Dokument für internationale Menschenrechte ausgearbeitet wurde, wofür Millionen von Menschen starben. Für Dokumente, welche heute ignoriert werden.
Was können wir als Gesellschaft dazu beitragen, dass Ihr Bruder zumindest einen fairen Prozess erhält, mit welchen Massnahmen versuchen Sie dies zu erreichen, welche vermeintlich realistischen Ziele verfolgen Sie noch? Wie ich bereits sagte, alles startet vom Boden hinauf. Von Leuten, welche ihre demokratischen Rechte wahrnehmen und ihre gewählten Repräsentanten in die Verantwortung nehmen. Sie anrufen, besuchen, sie darauf ansprechen, ihnen Julians Fall beschreiben und ihre demokratischen Rechte in Anspruch nehmen. Ein wichtiger Teil davon ist Schulung, Information zu sammeln, um die Fähigkeit zu erlangen, zurückzuschlagen. Es ist wichtig, diese Dinge mit Freunden und innerhalb der Familie zu besprechen und zu teilen, um Allianzen und Gemeinschaften zu bilden, um die Macht zu erreichen, sich dafür einzusetzen und Fürsprache für Julian halten. Diese Communities tragen ihre Botschaft in die Regierungsämter hinein und bauen damit entsprechend bei den Gerichten Druck auf, die bestehenden Rechte nicht zu missachten. Diese Art von Protest wächst von unten nach oben.
Was gibt Ihnen nach so vielen Jahren die Kraft, weiterhin an Gerechtigkeit zu glauben? Die Leute, welche wir treffen, mit welchen wir sprechen, all unser Unterstützer, lassen uns dranbleiben und weiterkämpfen. Wir würden damit zwar nicht aufhören, aber ohne diese Unterstützung wären wir nicht an Orten wie diesem hier. Wir beziehen die Kraft und die Ressourcen von all diesen Leuten. Es wäre alles viel schwieriger, ohne Leute wie dich, ohne solche Gespräche, wie wir es gerade führen.
Wir sprechen hier während einer Bitcoin-Konferenz miteinander, was fasziniert Sie an dieser Bewegung? Nun, WikiLeaks und Bitcoin entstanden aus derselben Ideologie, sie haben eine gemeinsame Basis. Dieselbe Philosophie, nämlich Technologie zu nutzen, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Es besteht also eine grosse Affinität, eine grosse Gemeinsamkeit zwischen der Bitcoin-Community und Julians Kampf. Bitcoin dezentralisiert Geld und gibt den Leuten Macht zurück. Wikileaks machte dasselbe mit Informationen, mit Enthüllungs-Journalismus. Es entzog zentralisierten Medienkonzernen die Macht über die Leute und gab sie ihnen zurück. Davor blieben diese Informationen hinter Firmenpforten vor der Öffentlichkeit verschlossen. Julian nahm ihnen diese Macht. Bitcoin macht etwas Ähnliches, es nimmt den Zentralbanken die Macht und gibt sie den Menschen zurück.
Wikileaks wurde 2011 aussergerichtlich vom Bankensystem ausgesperrt. Auf einen Schlag war es illegal, Spenden an Wikileaks auszuzahlen. Einfach, weil ein paar Leute in den Vereinigten Staaten, dies entschieden und den Telefonhörer in die Hand nahmen, um Wikileaks vom Geldsystem abzuschneiden. PayPal, Mastercard, Visa, alle wurden sie angewiesen, Spenden an Wikileaks zu unterbinden. Sogar Julians eigenes, privates Bankkonto wurde ohne Vorankündigung gesperrt. Also wechselte Wikileaks zu Bitcoin, es war also der erste Fall, wo Bitcoin als nicht zensierbares Geld eingesetzt wurde. Bitcoin konnte und kann von niemandem gestoppt werden, nicht einmal von den allermächtigsten Staaten.
Bitcoin steht für individuelle Freiheit, Eigenverantwortung und Zensurresistenz, kommt dieses Geschenk Nakamotos zu früh oder zu spät? Hat Bitcoin Ihrer Meinung nach die Kraft, die hohen in ihn gesteckten Hoffnungen zu erfüllen? Ja, ich glaube daran. Ich denke nicht, dass es von allein kommt. Es ist noch nicht perfekt, es braucht noch viel mehr Privatsphärenschutz. Auch Snowden sprach schon mehrfach darüber, wenn Bitcoin privater wird, kann er die hohen Erwartungen erfüllen. Bitcoin hat bereits bewiesen, dass es ein mächtiges Tool ist. Dank Bitcoin blieb Wikileaks weiterhin aktiv. Die Community wird weiterwachsen und ich spreche viel mit Leuten, welche sich bereits in dieser zirkulären Ökonomie befinden, sie inspirieren mich, weil sie sich auf einer Mission befinden. Ihre Geschichten faszinieren mich, denn wo immer sie sich aufhalten, in der Wüste, im Dschungel oder sonst wo, sie nutzen Bitcoin. Es handelt sich dabei meist nicht um technisch versierte Leute, es sind Leute, die Bitcoin nutzen, weil es ihnen hilft, es nützlich für sie ist.
Was bringt Bitcoin Ihrer Meinung nach? Finanzielle Unabhängigkeit, die Möglichkeit sein eigenes Geld abzusichern. Insbesondere im Journalismus ist Bitcoin wichtig, damit Journalisten ihre Arbeit unabhängig machen können. Es verschafft dir die Kraft weiterzumachen, weil du keine Angst haben musst, dass sie dir dein Geld stehlen. Mit Bitcoin bekommst du unmittelbar mehr Freiheit, zu publizieren, was immer du willst. Also ich denke das ist es, was Bitcoin bringt, die Freiheit zu tun, was du willst und die Kontrolle über dein eigenes Geld.
Wie können, sollen wir der Gefahr begegnen, dass Nutzer ihre Satoshi auf Börsen liegen lassen und was verhindert eine ähnliche Plattformisierung wie beim Internet? Lustigerweise gehen Börsen wie FTX regelmässig bankrott und das ist möglicherweise das Beste, was Leuten passieren kann, die ihr Geld nicht rechtzeitig von diesen Börsen abziehen. Denn jeder kriegt mit, dass diese zentralisierten Organisationen nicht transparent sind und dir das Geld nicht gehört, solange es sich auf diesen Börsen befindet. So schlecht es auf der einen Seite ist, ist es möglicherweise der beste Weg, um sich über Selbstverwahrung zu informieren, um die eigenen Gelder zu verwahren und keiner Drittpartei zu vertrauen.
Was unterscheidet digitales Bargeld von CBDC und was halten Sie von digitalen Zentralbankwährungen? Was halten Sie von CBDC, scheint eine wirklich gute Idee zu sein, finden Sie nicht auch? Persönlich denke ich, wir sind alle in einer Situation, wo Leute darüber bestimmen wollen, ob du Benzin tanken darfst oder dich daran hindern wollen irgend etwas zu kaufen, was ihnen nicht passt. Aber da sind bereits Möglichkeiten im bestehenden Geldsystem, wie beispielsweise deine Kreditpunkte oder deine finanziellen Voraussetzungen, welche darüber bestimmen, ob du ein Darlehen erhältst oder nicht. Sie haben bereits jetzt die Kontrolle über deine finanzielle Vergangenheit. Sie wissen, ob du Kinder hast, ob du geschieden bist. Sie schauen auf deine Vergangenheit, nicht nur auf deine finanzielle, sondern auch deine persönliche Situation und entscheiden aufgrund dessen, ob du finanzielle Unterstützung erhältst oder nicht. Nun, die Art, wie ich CBDC betrachte ist, dass es längst da ist.
Deshalb denke ich, es ist besser den Leuten das klarzumachen und ihnen Bitcoin als eine Alternative aufzuzeigen, als sie mit CBDC zu verängstigen. Denn es gibt bereits eine Alternative da draussen und die Leute sollten diese nutzen.
Sollen sie doch ihre CBDC bringen, das wird dazu führen, dass sich die Leute immer stärker dagegen auflehnen, indem sie die Alternative Bitcoin nutzen. Aber noch einmal, ich denke Bitcoin muss sich in Sachen Privatsphäre verbessern. Denn wenn du keine Privatsphäre hast, hast du auch keine reale Freiheit.
Wie werden sie uns die Vorteile von CBDC aus Ihrer Sicht verkaufen? Sie werden uns die einfache Nutzbarkeit verkaufen. Du bekommst dein freies Gmail und gibst uns deine Daten, so einfach ist das. Aber es liegt an uns die Alternativen zu nutzen. Ja, es ist beängstigend. In China existieren diese Tools bereits, aber die Alternativen sind da. Wir müssen den Leuten einfach zeigen, dass sie nutzbar sind und funktionieren.
Wer sollte sich Ihrer Meinung nach für Bitcoin interessieren? Nun ich glaube stark daran, dass sich Dinge von unten herauf ändern. Ich sehe das in unserer Arbeit für Julian. Von oben wird sich nichts zu unseren Gunsten ändern. Ich habe so viel Respekt vor den Leuten, die in diesen Communities und gemeinsam mit den «unbanked» arbeiten. Die diesen Leuten helfen, Bitcoin zu adoptieren. Ihnen zeigen, dass sie es nutzen können, dass es einfacher ist als Bargeld, dass sie ihre eigene Bank sein können, ihr eigenes Geld sparen, dass sie das alles mit Bitcoin machen können, was sie bisher nicht konnten. Bitcoin verhilft ihnen zu finanzieller Unabhängigkeit.
Was würden Sie der deutschsprachigen Community am Ende gerne noch mitteilen? Kämpft weiter für eure Rechte, habt keine Angst und gebt nicht auf. Beteiligt euch bei den vielen Organisationen, welche Julian unterstützen, werdet Mitglied, geht zu den Protesten und spendet, wenn ihr es euch leisten könnt.
Ich bedanke mich für dieses Gespräch und wünsche Julian Assange, Ihnen und er ganzen Familie, dass die Gerechtigkeit am Ende doch noch siegt.
Hearing Julian Assange, February 2024
Petition Julian Assange, Amnesty International